Ein Tag im Kartenhaus
Es gibt viele Möglichkeiten ein Geschäft zu ruinieren. Eine ist es zum Beispiel unfreundlich zu sein und sämtliche Kunden zu vergraulen. Eine andere, genau dort ein Restaurant zu eröffnen, wo bereits die letzten zehn Besitzer kein Glück hatten. Andere wiederum kommen in Zahlungsschwierigkeiten und so weiter uns so fort. Eine andere Möglichkeit ist natürlich, eine Stelle so unglaublich falsch zu besetzen, dass selbst bei größter Anstrengung der Mitarbeiter keine Chance hat, auch nur irgend etwas richtig zu machen. Da könnte man zum Beispiel einen sehr kleinen Menschen im Hochregallager arbeiten lassen oder einen Pazifisten an eine Gulaschkanone stellen. Stets dürfte der erwünschte Output nicht den Erwartungen entsprechen.
Ein andere, noch viel effizientere Methode das Geschäft zu schädigen ist es, die dicke Frau im Kartenhaus arbeiten zu lassen. Nicht irgendeine dicke Frau sondern genau die in dem speziellen Kartenhaus, in dem ich heute meine Handballkarten kaufte.
Ich war die dritte Person in einer Schlange von Personen, die Karten für irgendwelche Events kaufen wollten. So viel war klar. Unklar hingegen ist, warum ich erst nach zehn Minuten bedient wurde. Doch als ich die Arbeitsabläufe live miterleben durfte, war mich schon nach sehr kurzer Zeit sehr wohl klar, was hier so stockte.
Die fette Frau war wie ein Pfropfen in einem Wasserrohr. Interessanterweise hielt sie nicht das Wasser auf, sondern die Zeit. Sie war so konzipiert, dass sich hinter ihr viel Zeit staute. Doch wie machte sie das bloß?
Ich gebe nun einen Einblick in Tätigkeit, die sie selber als Arbeit bezeichnen dürfte, wohingegen Außenstehende eher den Term Arbeitsverweigerung bevorzugen würden.
„Drei ermäßigte Handballkarten bitte“, sagte ich. „Hmm, ja, Handballkarten, wann denn?“ – „Sonntag gleich bitte“ – „Ja, Sonntag, ok…“. Sie wälzte sich zum Bildschirm ihres PCs. Ich sah sie nur von oben, da sie zwischen die Lehnen ihres Drehstuhls gepresst war. Ihre grauen Haare waren hell gefärbt. An ihren Fingern befanden sich wahrscheinlich Fingernägel, obwohl es eher nach Alufolie aussah (vielleicht war es quecksilberhaltiger Nagellack?). Während mir all diese Gedanken durch den Kopf gingen, hatte sie es in der Zwischenzeit zumindest schon einmal geschafft, die Maus über das Icon zum Ticketverkauf zu balancieren und nach mehrmaligem Versuchen auch einen Doppelklick zustande gebracht. Nun ging es darum, einen Benutzernamen und Passwort einzutragen.
Das sah dann so aus, dass die dicke Frau ihren linken Arm auf die Schreibtischkante stützte, sodass die dicken Titten nicht die Tastatur blockierten, damit sie mit dem rechten Zeigefinger säuberlich einen Buchstaben nach dem anderen antippte. Leider war der Cursor nicht im Textfeld aktiv, sodass dieser Vorgang zweimal durchgeführt werden musste.
Eine zweite Mitarbeiterin, die der ersten in Sachen Kompetenz nur um Haaresbreite voraus war, versuchte der dicken Frau stets gute Hinweise zu geben („Jetzt müssen Sie auf Suchen klicken“, „Hier doppelt“, „Oh, warum geht das denn jetzt nicht?“, „Lassen Sie mich mal kurz“).
Ich fragte, ob sie denn einen Hallenplan bereit hätte. Voller Stolz berichtete sie mir, dass wir gleich am Bildschirm den Hallenplan sehen werden. (Inzwischen hatte die zweite Mitarbeiterin das Passwort eingegeben, da sich die dicke dabei vertippt haben musste und schlichtweg überfordet war). Konnte die Dicke etwas nicht recht erkennen, stand sie stets auf und berührte mit der Nasenspitze fast den Bildschirm. Mich wunderte es, dass sie nicht im Stuhl steckenblieb.
Nun kam die schwerste Übung der Kür. Ich wollte den ermäßigten Tarif haben. Die zweite Mitarbeiterin teilte mir mit, dass es so etwas nicht gäbe. „Doch“, sagte ich, „den gibt es sehr wohl.“ Nun schauten sie beide auf den Bildschirm wie ein Schwein ins Uhrwerk. Plötzlich kam der Zweiten die zündene Idee, auf den Scrollbalken zu klicken und diesen dann auch noch herunter zu ziehen. Voller Erstaunen nahmen die Beiden dann wahr, dass es tatsächlich ermäßigte Preise gab. Es dauerte mindestens eine weitere Minute, bis sie es geschafft hatten, dem System klarzumachen, dass vor Ihnen ein Kunde stand, der ermäßigte Karten haben wolle. Nach insgesamt ca. fünf bis sechs Minuten Bearbeitungszeit konnte ich es kaum glauben, drei Handballkarten in der Hand zu halten.
Am Ende sagte ich nichts, als sie sich verrechnet haben und ich statt 46,20 Euro nur 45 Euro zahlte (es bereite ihnen Schwierigkeiten 14×3 zu rechnen und dann darauf zehn Prozent Vorverkaufsgebühr draufzuschlagen).
Nach mir wartete ein weitere Kunde. Er sagte zu mir, dass er auch Handballkarten kaufen wollte. Ich wünschte ihm viel Erfolg.
Britta
*lach* ne klasse Story, vielleicht war es ein Ein-Euro-Job? Auf diese Art und Weise macht sich der Verein aber wirklich kaputt, ich glaube so lange hätte ich gar nicht gewartet und wäre gleich weiter gegangen.
Konstantin
Übrigens ist das Kartenhaus nun pleite.